Lehrerin packt aus: Schüler (7) «spuckte mich an»

Bern,
Eine Berner Lehrerin erfährt in ihrem Job immer wieder Beleidigungen und Respektlosigkeit – auch von den ganz Kleinen. Ist das normal?

Das Wichtigste in Kürze
- Carla* ist seit ein paar Jahren Lehrerin an einer Berner Primarschule.
- Dabei musste sie bereits einiges an Beschimpfungen und Gewalt erfahren.
- Eine Umfrage zeigte 2022: Rund zwei Dritteln der Lehrpersonen geht es ähnlich.
Eigentlich studiert Carla* (24) Sportwissenschaften – mittlerweile im Master. Doch wie viele Studierende geht auch sie einem Nebenjob nach.
Bei Carla fiel die Wahl auf das Unterrichten. Aufgrund des Mangels an Lehrpersonen stellen viele Schulen auch Studierende an. So kam die 24-Jährige dazu, Französisch- und Sportlektionen an einer Berner Primarschule zu geben.
Die Erfahrungen, die Carla als Lehrerin machte, wird sie wohl noch lange in Erinnerung behalten. Gegenüber Nau.ch erzählt sie, was sie bisher erlebt hat.
Erstes Jahr gut, zweites Jahr «hardcore»
Carlas Arbeit als Lehrerin begann gut: «Mein erstes Jahr war voll okay», erzählt sie.
Zwar handle es sich beim Unterrichten um einen anstrengenden Beruf, «und in der Turnhalle war es immer sehr laut». Darauf hatte sich Carla aber einstellen können.
Doch dann ging es los: «Ab meinem zweiten Jahr dachte ich, ich muss kündigen», erzählt die Sportstudentin. «Das war hardcore.»
Carla erhielt eine Klasse für besondere Förderung der ersten Sekundarstufe zugewiesen. Diese war zusammengestellt aus Kindern, welche man aufgrund ihrer Leistung oder ihres Verhaltens nicht in die Standardklassen integrieren kann.
«Sie waren vielem gegenüber gleichgültig und meinten bloss ‹ist mir doch egal›.»
Auf diese anspruchsvolle Aufgabe war Carla nicht vorbereitet: «Dass ich mit Kindern in Kontakt trete, welche grosse Probleme haben und gewalttätig sind, auch gegen mich: Das habe ich nicht erwartet.»
«Das war schon ein Schock», erinnert sie sich.
Beleidigungen, Schlägereien und kein Respekt
Mit den Schülern der Sonderklasse erlebte Carla alles: von Beschimpfungen bis zu physischen Auseinandersetzungen untereinander.
«Sie haben sich oft gegenseitig schlimm beleidigt – etwa als ‹dumme Schlampe› – und gingen teilweise aufeinander los.»
Auch gegenüber der Lehrerin verhielten sich die Schüler respektlos. Ein Schüler habe sogar Gewalt ihr gegenüber angedroht: «Er sagte ‹man darf ja leider keine Frauen schlagen› und liess den Satz ausschweifen.»
7-Jähriger zeigt Stinkefinger
Einen schockierenden Fall erlebte Carla aber auch in einer anderen, viel jüngeren Klasse: «Ein Schüler der 1. Klasse hat mich angespuckt, mir den Stinkefinger gezeigt und mehrmals ‹f*ck you› gesagt», erzählt sie.
Ausserdem habe der Siebenjährige versucht, Carla «eine Brennnessel zu machen». Heisst: Den Unterarm mit beiden Händen greifen und diese dann entgegengesetzt drehen, um Schmerzen auszulösen.
Glücklicherweise tat ihr der Bub kaum weh. «Ich musste in dem Moment einfach mein Lachen verkneifen», erzählt die 24-Jährige.
Trotzdem findet Carla den Vorfall problematisch: «Du merkst, wie der Respekt fehlt.»
Studie zeigt: Zwei Drittel der Lehrpersonen erleben Gewalt
Carla ist bei weitem kein Einzelfall: «Wir wissen spätestens seit unserer Gewaltstudie, dass die beschriebenen Situationen in den Schulen existieren», sagt Dagmar Rösler gegenüber Nau.ch. Sie ist Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH).
Die Umfrage im Jahr 2022 ergab, dass bereits zwei von drei Lehrpersonen in der Deutschschweiz Gewalt im Beruf erlebt haben.
«Am häufigsten sind Lehrpersonen psychischer Gewalt in Form von Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen oder Einschüchterungen ausgeliefert», heisst es in der LCH-Studie.
Anders als in Carlas Erfahrung geht laut der Umfrage die Gewalt in 36 Prozent der Fälle von den Erziehungsberechtigten aus. Nicht weit dahinter folgen allerdings mit 34 Prozent die Schülerinnen und Schüler.
Seltener waren es andere Lehrpersonen oder die Schulleitung, die Gewalt ausgeübt hatten.
Was tun? Wegrennen
Doch was kann man als Lehrperson in einer solchen Situation tun?
Rösler: «Grundsätzlich gilt, das Eisen erst zu schmieden, wenn es kalt ist. Also nicht Lösungen zu suchen, wenn die Emotionen hochgehen, sondern dann, wenn sich alles wieder beruhigt hat.»
Und: «Lehrpersonen dürfen nie handgreiflich werden», stellt Rösler klar. Akut müsse man ruhig bleiben und dürfe sich nicht provozieren lassen. «Der Weg führt nur über Gespräche mit den betroffenen Schülerinnen und Schülern, deren Erziehungsberechtigten und der Schulleitung.»
In einem Leitfaden aus Deutschland wurde Lehrpersonen in Extremsituationen sogar zur Flucht geraten.
Nur noch Eigenschutz möglich
Diese Einschätzung kann Carla nachvollziehen: «Wenn du weisst, dass du dazwischen gehen kannst, kannst du es versuchen.» Einen Schüler der unteren Stufe habe sie beispielsweise von seinem Schulkameraden, auf welchen er losging, einfach wegtragen können.
«Das ging nur, weil er kleiner war als ich.» In der Oberstufe ist das anders: «Da musst du dich einfach distanzieren und dich selbst in Schutz bringen.»
Carla stellt aber klar: «Es ist zum Glück nur eine Minderheit der Schülerinnen und Schüler, die so ist.» Sie habe durchaus auch Klassen, die «Engelchen» sind.
*Name geändert