Höhere Gebühren: Chantal droht der Uni-Abbruch
Bern 22.12.2024 - 08:20
Der Kanton Bern will 100 Franken höhere Studiengebühren – der Bundesrat plant gar eine Verdoppelung. Bei Studierenden wie Chantal sorgt das für grosse Sorgen.
Das Wichtigste in Kürze
- Sowohl der Bundesrat wie auch der Kanton Bern wollen die Studiengebühren erhöhen.
- Viele Studierende haben jetzt schon eine hohe finanzielle Belastung.
- Chantal Esposito könnte sich eine Gebühren-Verdoppelung wohl nicht leisten.
Entscheidungen rund um die Studiengebühren an Schweizer Hochschulen sorgten in den vergangenen Wochen für viel Aufruhr – insbesondere in Studentenkreisen.
Im September präsentiert eine Expertengruppe zur Bereinigung des Bundeshaushaltes einen Bericht, in welchem sie die Verdopplung der Gebühren empfiehlt.
Statt durchschnittlich 790 Franken sollen Studis neu 1580 Franken pro Semester hinblättern. Der Bundesrat verkündet, diesem Vorschlag folgen zu wollen.
Nur wenig später kommt die Nachricht des Berner Kantonsparlaments: Studierende an Berner Fachhochschulen müssen pro Semester 100 Franken mehr bezahlen – also neu 850 Franken. Für ausländische Studenten werden die Gebühren sogar verdreifacht.
Unmittelbar auf die Bekanntgabe der Erhöhungen im Kanton Bern folgt eine Protestaktion. Die Änderung kommt nicht nur unerwartet, sondern löst grosse Sorgen und Enttäuschung aus. Denn viele Studierende haben ohnehin mit mangelnden finanziellen Mitteln zu kämpfen.
«Ich arbeite und studiere nebenbei»
Für Chantal Esposito ist das Leben schon jetzt ein Balance-Akt zwischen Studium und Arbeit. «Ich würde nicht sagen, ich arbeite neben dem Studium, sondern: Ich arbeite – und studiere noch nebenbei», erzählt sie gegenüber Nau.ch.
Chantals Arbeitspensum beträgt derzeit satte 80 Prozent.
Die Studentin arbeitet jeweils 30 Prozent als Hilfsassistentin beim Forschungskolloquium für Kognitive Psychologie, Wahrnehmung und Methodenlehre sowie im Akademikerhaus (Aki). Zusätzlich ist sie als Verkäuferin im Ethik-Shop Change-Maker tätig.
Den Bachelor in Psychologie an der Uni Bern wird Chantal voraussichtlich in neun statt sechs Semestern abschliessen müssen.
Ihre Eltern können die Studentin nicht unterstützen. «Ich zahle alles selbst», so Chantal.
Die Erhöhung der Studiengebühren bedeutet für sie: Sparen, wo es eigentlich nicht mehr viel zu sparen gibt. Mehr zu arbeiten, ist für die Psychologie-Studentin kaum mehr zumutbar.
«Weiss nicht, wie ich das zahlen kann»
Umso grössere Sorgen macht sie sich um eine mögliche Verdoppelung der Gebühren durch den Bundesrat. Denn Sparen kann sie nur bis zu einem gewissen Grad.
«Bei einer Verdoppelung der Studiengebühren weiss ich wirklich nicht, wie ich das zahlen kann», sagt Chantal.
Sollte der Bundesrat sein Vorhaben in die Tat umsetzen, könnte sie sich das Studium wahrscheinlich nicht mehr leisten.
«Für mich stellt sich dann die Frage: Studium abbrechen oder im Ausland studieren.» Eine Frage, die sich schon jetzt viele Studierende, die aus dem Ausland kommen, stellen müssten.
Jeder neunte Student hat finanzielle Schwierigkeiten
Chantal ist nicht die einzige betroffene Studentin: Laut einer Studie von «Eurostudent» arbeiten in der Schweiz 48,3 Prozent neben dem Studium.
Dabei beläuft sich das durchschnittliche Einkommen gerade einmal auf 1242 Franken pro Monat.
Kein Wunder, dass 13 Prozent der Studierenden angaben, eher starke oder sehr starke finanzielle Schwierigkeiten zu haben.
Diese Einschätzung bestätigt auch Aline Masé, Leiterin Fachstelle Sozialpolitik der Caritas: «Viele Studierende kämpfen bereits heute damit, am Monatsende über die Runden zu kommen. Sie haben keinerlei Reserven.»
Bereits die ständig steigenden Lebenshaltungskosten seien eine grosse Belastung. Eine Erhöhung der Studiengebühren um 100 Franken oder gar eine Verdoppelung würden die finanzielle Lage noch weiter verschärfen, so Masé.
«Sie müssen ihre akademischen Ziele aufgeben»
Solche Vorhaben würden vor allem Studierende ohne ausreichende finanzielle Unterstützung erheblich treffen.
Schon heute könnten sich junge Erwachsene aus bescheidenen Verhältnissen häufig ein Studium nicht leisten.
«Die vorgeschlagene Erhöhung würde dazu führen, dass sie noch häufiger ihre akademischen Ziele aufgeben müssen.»
Besonders in einem wohlhabenden Land wie der Schweiz dürfe jedoch der Hochschul-Zugang «nicht vom Geldbeutel abhängen», warnt Masé.
«Alle müssen die gleichen Chancen auf eine akademische Ausbildung haben – unabhängig von ihrer finanziellen Situation.»
Nur mit ausreichenden Stipendien vertretbar
Für die Caritas ist klar: «Eine Verdoppelung der Gebühren wäre aus unserer Sicht nur akzeptabel, wenn gleichzeitig Langzeitstipendien und Stipendien für ärmere Haushalte vorhanden sind.» Und diese müssten die Kosten für ein Studium ausreichend decken.
Im Falle einer Verdoppelung wäre eine solche Unterstützung auch Chantals letzte Hoffnung.
Sie ist bereits Empfängerin von Stipendien-Geldern. «Wenn das Stipendium auch erhöht wird, sehe ich noch eher die Chance, dass ich es schaffe. Wenn die Stipendien-Gelder aber sogar verkürzt werden, habe ich echt ein Problem», sagt sie zu Nau.ch.
Gerechte Bildungschancen im Kampf gegen Armut
Nebst Niedergeschlagenheit und Enttäuschung verspürt Chantal jedoch vor allem eines: «Sehr grosses Unverständnis.»
Denn laut Bericht des Bundesamts sollen andere Ausgaben in den nächsten Jahren im Vergleich zum allgemeinen Wirtschaftswachstum deutlich stärker wachsen: im Bereich der Sicherheit, der Sozialen Wohlfahrt sowie der Finanzen und Steuern.
«Ich verstehe nicht, weshalb man dann in der Bildung einzusparen versucht», sagt Chantal.
Auch die Caritas sieht die Pläne als «problematisch» an. «Diese Entscheidung könnte langfristig die Prävention und Bekämpfung von Armut gefährden», gibt Masé zu bedenken. Zusammen mit existenzsichernden Sozialleistungen seien gerechte Bildungschancen unerlässlich.