Bub missbraucht: Behindertentransport hat keine «100%ige Sicherheit»

Im Januar wurde ein Neunjähriger vom Fahrer eines Behindertentransports in Biel vergewaltigt. Das Verhindern solcher Übergriffe kann nicht garantiert werden.

Das Wichtigste in Kürze
- Ein Bub (9) wurde im Januar vom Fahrer eines Behindertentransports vergewaltigt.
- Wie genau der Täter vor seiner Anstellung überprüft wurde, ist unklar.
- Eine 100-prozentige Sicherheit kann man aber nie garantieren, sagen Experten.
Der Artikel der Zeitung «Biel Bienne» schockierte schweizweit: Ein neunjähriger Junge aus Biel BE wurde im Januar von einem 26-Jährigen sexuell missbraucht.
Der Bub hatte eine Beeinträchtigung. Der Täter war Fahrer des in Anspruch genommenen Behindertentransports.
Das betroffene Transportunternehmen erklärte, dass der Täter sich noch in der Probezeit befunden habe. Er sei nach dem Vorfall durch einen anderen Chauffeur ersetzt worden.
Doch die Frage stellt sich: Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Und sollten solche Übergriffe durch den Einstellungsprozess nicht verhindert werden können?
«Transportsituationen bieten Gelegenheiten» für Tatpersonen
Limita, die Fachstelle zur Prävention sexueller Ausbeutung, sieht im Behindertentransport verschiedene Risiken.
«Beim Transport von Kindern, insbesondere mit Behinderungen, ist oft körperliche Nähe nötig», erklärt Geschäftsführerin Yvonne Kneubühler. Beispielsweise beim Ein- und Aussteigen.
Auch emotionale Unterstützung könne gefragt sein. Je nach Auftrag entstehe zwischen Begleitperson und Kind eine Vertrauensbeziehung.
«Aus der Sicht von Tatpersonen bieten solche Transportsituationen Gelegenheiten», so Kneubühler gegenüber Nau.ch.
Prävention durch klare Regeln und Privatauszüge
Mit solchen Risikosituationen müsse sich jede Organisation befassen und klare Standards festlegen. Es müsse geregelt sein, was die Aufgaben der Begleitperson sind, welche Hilfestellungen notwendig sind und wie diese gestaltet werden.
«Sowohl körperliche als auch emotionale Nähe im beruflichen Kontext muss immer fachlich begründet sein», betont Kneubühler. Limita empfehle, einen Verhaltenskodex zu verfassen und als Teil des Arbeitsvertrages zu definieren.
Ausserdem sollten Privat- und Sonderprivatauszüge der Mitarbeiter regelmässig eingeholt werden. Am besten alle zwei Jahre und «auch von freiwilligen Tätigen», so Kneubühler.
Im Privatauszug sind Vorstrafen ersichtlich. Der Sonderprivatauszug gibt Auskunft, ob eine Tätigkeit mit Minderjährigen oder mit besonders schutzbedürftigen Personen untersagt worden ist.
Keine offizielle Kontrollinstanz
Doch: Offizielle Vorgaben zum Anstellungsprozesses im Behindertentransport gibt es keine – und entsprechend auch keine Kontrollinstanz. Der Prozess ist jedem Unternehmen selbst überlassen und lässt einen gewissen «Handlungsspielraum», wie ein Behindertentransport-Unternehmen gegenüber Nau.ch sagt.
Aus Nachfragen bei verschiedenen Unternehmen geht hervor, dass nicht alle regelmässig den Privat- und Sonderprivatauszug ihrer Mitarbeitenden prüfen.
«Wir werden ihren Ratschlag überdenken», sagt etwa ein Unternehmen auf den Hinweis von Nau.ch zu den Empfehlungen von Limita.
Mit den Mitarbeitenden im Austausch bleiben
Auch der Kontakt zu den Angestellten läuft nicht in allen Unternehmen gleich ab.
Der BFT (Behinderten-Ferntransport) setzt beispielsweise speziell auf persönliche Gespräche und regelmässigen Austausch mit ihren Fahrern. So etwa nach der Beendigung von Fahraufträgen oder bei einem monatlichen Fahrertreffen.
«Nicht, dass dabei die Charakterfestigkeit unserer Chauffeure eindeutig festgestellt werden kann», ordnet Präsident Charles Biedermann gegenüber Nau.ch ein. Aber: «Aussergewöhnliche persönliche Belastungen und eventuelle Veränderungen im Verhalten sind möglicherweise dadurch erkennbar.»

Auch vor der Einführung in die Arbeit beim BFT fänden bereits Gespräche statt. Während der Einführung würden die Fahrer dann beobachtet. Somit soll «ein vertiefter Einblick in die Persönlichkeit eines Kandidaten» gewonnen werden.
«Sozial gefestigte Strukturen»
Eine gewisse Sicherheit sieht Biedermann auch im sozialen Umfeld seiner Arbeitnehmenden. «Alle Fahrerinnen und Fahrer beim BFT sind ehrenamtlich tätig und über 55 Jahre alt.» Viele würden bereits Kinder oder gar Enkelkinder haben «und leben somit in sozial gefestigten, familiären Strukturen».
Biedermann sagt: «Ein solches Umfeld stellt zwar keine Garantie dar, bietet jedoch eine minimale Sicherheit in Bezug auf ein gewisses Verhalten.»
«Nie eine absolute Garantie»
In seinen über 30 Jahren im Behindertentransport seien beim BFT keine Vorfälle von sexuellen Übergriffen bekannt. «Wir sind sehr froh darüber», sagt Biedermann.
Er fügt an: In dem Themenkreis dürfte es «wohl nie eine absolute Garantie und Sicherheit geben».
Auch Kneubühler von Limita pflichtet bei: «Trotz Präventionsmassnahmen müssen wir wissen, dass es keine 100-prozentige Sicherheit gibt.»
Aber: «Es gibt einen hohen Anspruch an Professionalität – und den sollten wir verfolgen», so Kneubühler.